Alle Menschen lieben es, zu gewinnen. Noch lieber als zu gewinnen, vermeiden wir Verluste, denn diese wiegen emotional doppelt so schwer wie Gewinne. Diese sogenannte Verlustaversion hält Anlegerinnen und Anleger aus Angst vor finanziellen Verlusten beispielsweise davon ab, ihr Geld überhaupt zu investieren. Paradoxerweise verliert man über einen längeren Zeithorizont durch das «Nicht-investiert-sein» aber meist mehr Kaufkraft, als man mit einem Investment selbst verlieren könnte. Hier kann ein diversifiziertes Portfolio helfen, um mögliche Verluste abzufedern.
Die Verlustaversion zeigt sich aber auch bei erfahrenen Anlegerinnen und Anlegern. Sie tun sich nämlich schwer damit, ihre schlecht laufenden Titel wieder zu verkaufen. Bis zum tatsächlichen Verkaufen eines Titels sind Verluste nur buchhalterischer Natur und sie haben noch nichts verloren. Es wird also abgewartet, bis der Titel mindestens wieder den Einstandspreis erreicht hat, oder es werden sogar nochmals Positionen hinzugekauft, um den Einstandspreis zu drücken. Was bei einer allgemeinen Korrektur der Märkte sinnvoll sein kann, ist es definitiv dann nicht, wenn die Zukunftsaussichten des Titels weniger gut sind.
Eine Möglichkeit, Verlierertitel auf die Probe zu stellen, ist der sogenannte «Overnight-Test». Dieser funktioniert folgendermassen: Stellen Sie sich vor, über Nacht werden Ihre Verlierer-Titel automatisch verkauft und mit Bargeld ersetzt. Nun haben Sie die Wahl: Sie können die Aktie erneut kaufen oder sie legen Ihr Geld in vielversprechendere Titel an. Wie entscheiden Sie sich? Mit dem Test ändert sich Ihre Perspektive – von der Realisierung eines Verlustes zu einer intelligenten Investition im Hier und Jetzt. Womöglich finden Sie damit den nötigen emotionalen Abstand, um die richtige Investitionsentscheidung zu treffen.
«Wir verkaufen unsere Gewinner zu früh und halten zu lange an den Verlierern fest.»
Die Verlustaversion führt also dazu, dass Menschen Geld nicht investieren und ihre Verlierertitel halten, auch wenn eine Investition mittelfristig wenig Chance hat, wieder zu steigen. In ähnlicher Weise führt die Verlustaversion gegenteilig zu einer Vermeidung von Risiken, wenn potenzielle Gewinne bewertet werden. Angesichts der Möglichkeit, bereits erzielte Gewinne zu verlieren, nimmt man diese mit, und begrenzt so die Gewinne nach oben. Nachweislich erzielen Gewinner-Titel nämlich auch weitere Gewinne. Die Rendite nach einem neuen Höchststand ist häufiger positiv als in anderen Phasen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: «Wir verkaufen unsere Gewinner zu früh und halten zu lange an den Verlierern fest». Eine disziplinierte auf Fundamentalanalysen beruhende Anlagestrategie ist eine gute Massnahme, um die Auswirkungen der Verlustaversion abzumildern. Ebenso hilft es, wenn Gelder gestaffelt angelegt werden, so können Marktschwankungen besser abgefangen werden. Es ist unmöglich, das Erfahren von Verlusten emotional weniger schmerzhaft zu machen. Genauso wie man langfristig nicht nur Gewinner in einem diversifizierten Portfolio hat. Eine sorgfältige Analyse der eigenen Investitionen und die realistische Betrachtung der Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Verluste und Gewinne kann aber helfen, eine rationale Entscheidung zu treffen.