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Stagflation - einfach erklärt.

Datum: 10.11.2021 
Autor: Roman Bättig

​Die globale Wachstumsdynamik flacht ab, bei gleichzeitig steigenden Inflationsraten. Dies führt zu Sorgen in Bezug auf eine Stagflation. Wir zeigen auf, was mit einer Stagflation gemeint ist und weshalb wir die Befürchtungen für übertrieben halten.

Was ist eine Stagflation?

Der Begriff «Stagflation» beschreibt ein Wirtschaftsumfeld, welches sich aus steigenden Preisen in Kombination mit einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung auszeichnet. Staglfation ist eine Wortkreation aus den Begriffen Inflation und Stagnation. Der Begriff wurde im Jahr 1965 erstmals von einem englischen Politiker verwendet. Zu einem effektiven Problem wurde die Stagflation jedoch erst in den 1970er Jahren. Damals lagen die Inflationsraten im zweistelligen Bereich und die Wirtschaft befand sich in einer Rezession. Insbesondere in Grossbritannien war die Stagflation ausgeprägt.


Inflation und Wachstum


Auslöser für eine Stagflation ist gewöhnlich ein spezifischer Schock, welcher die Inflationsraten ansteigen lässt und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum abwürgt. Ein klassisches Beispiel hierfür sind steigende Rohölpreise. Steigen die Ölpreise an, erhöht dies die Inflation. Zudem wird die Profitabilität der Unternehmen aufgrund höherer Inputkosten reduziert. Dies verringert den wirtschaftlichen Output. 

Grundsätzlich kann eine Stagflation ein langanhaltendes Phänomen sein, das zeitlich verzögert nach einem Angebotsschock auftreten kann. Dies ist der Fall, wenn die Inflationserwartungen ansteigen oder eine Lohn/Preis-Spirale in Gang gesetzt wird. In den 1970er Jahren war ein solches Stagflationsszenario ersichtlich. In der jüngeren Vergangenheit war die Stagflation kein Thema. Stagflation ist eine wirtschaftliche Anomalie und tritt grundsätzlich sehr selten in Erscheinung.


Warum ist Stagflation ein Problem?

Wenn die Inflation über das 2 Prozent-Ziel der Notenbanken steigt, kann die Notenbank mit einer restriktiveren Geldpolitik reagieren. Das Erhöhen von Zinsen sowie die Reduktion der Liquiditätszufuhr bremst den Preisanstieg.

Wenn ein wirtschaftlicher Abschwung droht, kann sie das Gegenteil machen, nämlich die Zinsen senken, die Geldschleusen öffnen und auf diese Weise die Wirtschaft wieder ankurbeln.

Schwierig wird es, wenn beide Phänomene gleichzeitig auftreten. Dieses Szenario stellt für Notenbanken einen Worst Case dar. Wenn sie nämlich die Inflation mit einer restriktiveren Geldpolitik bekämpft, schädigt dies die Wirtschaftsentwicklung. Auf der anderen Seite hingegen fördert eine expansive Geldpolitik das Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig besteht allerdings die Gefahr, dass die Inflation aus dem Ruder läuft. Für eine Notenbank stellt ein solches Szenario ein Dilemma dar.


Einschätzung zur aktuellen Situation

Mit der aktuell rückläufigen Wachstumsdynamik und den gleichzeitig steigenden Inflationsraten steigen die Befürchtungen einer Stagflation. Die Inflationsraten sind jüngst in den meisten Regionen angestiegen. In den USA und in der Eurozone sind die Inflationsraten auf Mehrjahreshöchstständen. Angetrieben wird die Inflation durch steigende Energiepreise und Lieferengpässe.


Inflationsraten


Die wirtschaftliche Entwicklung ist aktuell in einigen wenigen Ländern bereits wieder leicht über dem Vorkrisenniveau. Bei der Mehrheit der Volkswirtschaften ist die wirtschaftliche Entwicklung noch unter dem Trend von vor der Krise. Weitere Aufholeffekte sind somit möglich. Nun mehren sich die Anzeichen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung abschwächt. Ein grosser Anteil der Wachstumsabschwächung ist auf die Ausbreitung der Delta Variante zurückzuführen. Diese führte zu einer gewissen Vorsicht bei den Konsumenten.

Die Prognosen fürs Wirtschaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr liegen weiterhin deutlich über dem historischen Mittelwert. Von einem Nullwachstum kann somit keine Rede sein. Ebenso wenig ist ein Szenario wie in den 1970er Jahren realistisch. In den 1970er Jahren waren die Inflationsraten teilweise im zweistelligen Bereich und die Wirtschaft befand sich gleichzeitig in einer Rezession. Sogar in der Schweiz befand sich die Inflationsrate phasenweise über 10 Prozent. Aktuell sind wir in der Schweiz bei einer Inflationsrate von 1.2 Prozent. Im Durchschnitt bewegen sich die Inflationsraten aktuell in den meisten Ländern im Bereich von 3 bis 6 Prozent und somit deutlich tiefer als Mitte der 1970er Jahre.

Die nachfolgende Grafik vergleicht die Inflations- und Wachstumsraten von 1975 mit den heutigen Werten. Der Unterschied im Muster ist deutlich. 


Vergleich


Hinzu kommt, dass die Arbeitslosigkeit derzeit in vielen Regionen rückläufig ist und in einigen Sektoren sogar ein Fachkräftemangel herrscht, während die Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren stark angestiegen war. Ein Szenario wie in den 1970er Jahren ist somit wenig realistisch.


Fazit

Die aktuelle Wirtschaftsentwicklung ist in der kurzen Frist von Produktions- sowie Lieferengpässen geprägt. Dies führt zu steigenden Inflationsraten. Die Wachstumsdynamik ist nach der starken, pandemiebedingten Erholung auf hohem Niveau rückläufig. Wir sind aber weit von einem Nullwachstum entfernt. Die Inflation wird zudem primär von temporären Faktoren getrieben. Mit dem Abschwächen der Pandemie werden sich die Engpässe nach und nach auflösen. Die derzeitigen Befürchtungen einer Stagflation halten wir deshalb für übertrieben.




Gemeinsam wachsen.