Erscheinungsort: Bündner Tagblatt
Erscheinungsdatum: 15.09.2021
«Vorsorge? Hört sich anstrengend an. Das 3-Säulen-System? Ultra kompliziert. Heute auf Geld verzichten für die Zukunft? Sicher nicht. Absichern fürs Alter? Das ist ja noch ewig weit weg.» An diese Gedanken, damals war ich Anfang 20, erinnere ich mich noch ganz genau. Frisch ab Studium trete ich in die Arbeitswelt ein und werde mit der Frage nach einem Säule-3a-Konto konfrontiert. Sparen also, doch ich will erst einmal verdienen. Und nicht gleich wieder davon abgeben. Ich will endlich die Dinge machen, die ich mir als Studentin mit tief bezahltem Teilzeitjob nicht leisten konnte. «Das kann ich ja später noch entscheiden», sage ich mir. Also ist das Thema erst mal aufgeschoben.
Die ersten Berufsjahre gehen vorbei, immer viel los, viel Arbeit, Weiterbildungen, das Leben geniessen. Das Thema «Private Vorsorge»: aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn es aufkommt, habe ich für mich immer eine Ausrede parat. Zum Beispiel das Projekt «Weltreise ». Dafür muss ich die nächsten Jahre Geld auf die Seite legen. Die rund 6500 Franken pro Jahr für die 3. Säule sind also weiter aufgeschoben. «Mache ich dann nach der Weltreise», sage ich mir.
Und so habe ich fast zehn Jahre verloren. Zehn Jahre, in denen ich auch nur kleine Beträge hätte einzahlen können. So viel, wie halt gerade drin liegt. Zehn Jahre, während denen sich mein Geld in einem Vorsorgefonds stetig vermehrt hätte. Denn der Schweizer Aktienmarkt hat während dieser Zeit um 45 Prozent zugelegt. Mit 30 Jahren – nach der Weltreise – würde ich vernünftiger. Ich habe keine Ausreden mehr gefunden oder einfach nicht mehr danach gesucht. Und das nicht, weil ich jetzt mehr Geld zur Verfügung hatte. Sondern weil ich mehr und mehr verstanden habe, wie wichtig Vorsorge ist. Vor allem, weil ich mich beruflich mit dem Thema auseinandersetze. Weil mir klar geworden ist, wie wichtig es ist, Verantwortung für meine finanzielle Zukunft zu übernehmen. Auch wenn die Pensionierung noch immer sehr weit weg ist.
Ich kann nicht darauf hoffen, dass irgendjemand dann schon helfen wird. Ich will finanzielle Freiheit haben, so wie ich sie die vergangenen zehn Jahre erlangt habe. Ich will selbstbestimmt leben, egal, was passiert. Ich will mich und meine Liebsten absichern. Ich will in Zukunft gut leben, ohne heute auf zu viel zu verzichten. Das geht, man muss nur wissen wie. In Gesprächen mit meinem bunt durchmischten Umfeld über die Jahre ist mir eines immer wieder aufgefallen: Dass sich besonders Frauen selten für Finanz- und Vorsorgethemen interessieren. Diese Erkenntnis hat mich zwar nicht überrascht – wie aus meiner eigenen Geschichte hervorgeht –, aber doch zum Nachdenken angeregt.
Es geht also sehr vielen Frauen so wie mir damals. So bin ich dann vor etwa zwei Jahren zum Schluss gekommen: Ich will meine Erkenntnisse teilen und die Dringlichkeit des Themas ins Bewusstsein bringen. Bei allen – aber vor allem bei Frauen. Weil die Stolpersteine und deren negative Einflüsse auf die Höhe der Altersvorsorge bei Frauen viel zahlreicher sind als jene bei den Männern. Die Gründe liegen auf der Hand: Babypause, Teilzeitarbeit, weniger Lohn – um nur die bekanntesten zu nennen.
Umso wichtiger ist es also, dass wir Frauen darüber reden und handeln. Und das werden wir – und tun es bereits. Mein Appell an mein jüngeres Ich: Übernimm Verantwortung! Setze dich mit deinen Finanzen und der Vorsorge auseinander. Spare auch kleine Beträge und investiere das nicht benötigte Geld langfristig. Rede darüber, interessiere und informiere dich, tausche dich mit anderen aus. Du bist für deine Zukunft verantwortlich. Finanzen und Vorsorge: Das macht bei uns die Frau.
Annina Riedi ist bei der Graubündner Kantonalbank (GKB) Leiterin Sales Asset Management sowie Mitglied des Kaders.
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